- Frauenwahlrecht: Mühsam erkämpft
- Frauenwahlrecht: Mühsam erkämpft»Frauenfrage! Frauenverein!! Frauenemanzipation!!! - Überall, wohin man hört, bei jeder geselligen Zusammenkunft, fast in jeder öffentlichen Versammlung tönen einem jetzt diese Worte entgegen. .. Genug. Die Emanzipation ist eine ebensolch lächerliche und unausführbare Theorie wie alle anderen Theorien der Kommunisten und Sozialisten.« Mit diesen abwehrenden Worten reagierte 1870 die Frauenzeitschrift »Bazar« auf eine Bewegung, die seit den 1860er-Jahren in Europa und Amerika Aufmerksamkeit erregte. Immer häufiger traten Frauen in die Öffentlichkeit, um auf die gesellschaftliche, rechtliche und politische Diskriminierung des weiblichen Geschlechts aufmerksam zu machen. Denn überall zeigte sich die gleiche Misere: Mädchen wurde der Zugang zu höherer Bildung und Ausbildung verwehrt. Frauenarbeit beschränkte sich weitgehend auf schlecht bezahlte unqualifizierte Tätigkeiten, und in der Familie war die rechtliche Vorherrschaft der Väter und Ehemänner selbstverständlich. Was war während des Übergangs von der feudalen Gesellschaft des 18. zur bürgerlichen des 19. Jahrhunderts aus der Sicht der jungen Frauenbewegung falsch gelaufen? Hatte das neue Zeitalter nicht die Ablösung ständischer Privilegien, gleiches Recht für alle und die politische Mitbestimmung des Bürgers versprochen? Wieso galten die modernen Errungenschaften nur für Männer und nicht für Frauen?Politisch hinderlich: Das »Wesen des weiblichen Geschlechts«Es war der Menschenrechtskatalog der Französischen Revolutionsverfassung von 1791, der, ursprünglich schon 1789 verkündet, in Europa erstmals dem Einzelnen umfassend die politischen Freiheitsrechte zu garantieren versprach. Doch er beanspruchte Geltung in erster Linie für Männer. Die Frage, welche Rolle Frauen ihrem Wesen gemäß in der Revolution zu übernehmen hätten, beschäftigte die politischen Akteure bereits seit 1789. Schon in den Beschwerdeheften, die für die geplante Nationalversammlung erarbeitet wurden, findet sich die Forderung nach dem Wahlrecht von Frauen. Frauen bildeten eigene politische Clubs, verlangten Rederecht in der Nationalversammlung und trugen nicht wenig zur Eskalation der Revolution bei. Die Schriftstellerin und Revolutionärin Olympe de Gouges stellte 1791 den Menschenrechten einen Katalog der Frauenrechte entgegen und forderte die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Doch der Zugang zur öffentlichen Politik stand Frauen nur wenige Jahre offen. Schon 1793 wurde das Rederecht von Frauen in politischen Versammlungen wieder eingeengt. Mit Verweis auf das »Wesen des weiblichen Geschlechts« folgte das generelle Verbot politischer Betätigung für Frauen: »Ihre Anwesenheit in den Societés populaires würde. .. Personen einen aktiven Anteil an der Regierung geben, die in besonders hohem Maß dem Irrtum und der Verführung ausgesetzt sind.«Die Rolle, die man den Frauen nun zuwies, war über alle Revolutionslager hinweg konsensfähig. In Anlehnung an Jean-Jacques Rousseaus wirkmächtigen Erziehungsroman »Émile« von 1762 wurden Frauen in erster Linie als gefühlsbetonte mütterliche Wesen begriffen. Ihre Erziehung und Beschäftigung sollte sich an den Bedürfnissen des Mannes und an der häuslichen Sphäre orientieren. Opponieren gegen die Herrschaft des Mannes in der Familie, selbstständiges Auftreten in der Politik galten von nun an als unweiblich. Die Kritik der englischen Frühfeministin Mary Wollstonecraft an Rousseau und ihre Schrift »Eine Verteidigung der Rechte der Frauen« verhallten weitgehend ungehört. Das bürgerliche Konzept der geschlechtsspezifischen Rollenteilung blieb für lange Zeit vorherrschend.Zögerlicher Kampf um gleiche RechteAls die bürgerliche Frauenbewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann, die Verbesserung der sozialen und politischen Lage von Frauen zu fordern, mochte sie die bürgerliche Definition der Geschlechterrollen nicht infrage stellen. So begründete die liberale Sympathisantin der 1848er-Revolution, Louise Otto-Peters, die später zu den Initiatorinnen der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland zählte, gerade mit dem von Männern postulierten weiblichen Wesen das Recht und die Notwendigkeit der Frauen, sich in die Staatsbelange einzumischen: »Im Namen des Weibes nehme ich das Mitwirken und Mithandeln im Kampf der Parteien in Anspruch als ein gutes Recht, erkenne es selbst und will es so erkannt wissen als meine weibliche Pflicht.«Überall in Europa und in Amerika mehrten sich um die Jahrhundertmitte die Stimmen, die für das weibliche Geschlecht, gerade unter Verweis auf das weibliche Wesen, das Recht einklagten, in gesellschaftspolitischen Belangen mitzubestimmen. Die amerikanische Frauenbewegung nahm ihren Anfang, als sich 1848 in Seneca Falls etwa 300 engagierte Frauen und Männer trafen, um über »gesellschaftliche, rechtliche und religiöse Bedingungen und die Rechte der Frauen« zu diskutieren. Die Versammlung verabschiedete in Anlehnung an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 die »Declaration of Sentiments« und zahlreiche weitere Resolutionen, in denen die rechtliche und politische Gleichstellung der Frauen gefordert wurde.In Großbritannien richtete 1851 eine erste »Frauenpolitische Vereinigung« eine Petition für das Frauenstimmrecht an das Oberhaus. »Was die Frauen brauchen, sind gleiche Rechte, gleiche Chancen in allen gesellschaftlichen Möglichkeiten«, schrieb die englische Feministin Harriet Taylor Mill 1851. Ihr zweiter Ehemann, der Sozialökonom und Unterhausabgeordnete John Stewart Mill, legte 1866 dem britischen Unterhaus eine von 1 499 bekannten Frauen unterzeichnete Petition für das Frauenstimmrecht vor. Obwohl 1870 Mills Frauenstimmrechtsvorlage von der Mehrheit des Unterhauses angenommen wurde, verhinderte Premierminister William Gladstone ihre Verabschiedung. In der britischen Öffentlichkeit standen die Zeichen auf Sturm. Während der nächsten Jahrzehnte erreichte die Suffragettenbewegung viel. Seit 1882 konnten verheiratete Frauen über ihr Vermögen selbst verfügen, 1888 erhielten Grundbesitzerinnen auf Grafschaftsebene das Wahlrecht, doch auf nationaler Ebene blieben sie vom Wahlrecht vorerst ausgeschlossen.Auch im Deutschen Reich entfaltete sich seit den 1860er-Jahren eine rege bürgerliche Frauenbewegung, die sich für Frauenbildung und Frauenrechte einsetzte. Doch nur der kleine radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung wagte sich auch an das Wahlrecht heran. Denn nach wie vor glaubte die Mehrheit der bürgerlichen Feministinnen und des deutschen Bürgertums, dass politische Rechte dem weiblichen Wesen widersprächen. Es waren die sozialistische Frauenbewegung und die Sozialdemokratie, die im deutschen Kaiserreich den Kampf um das Frauenstimmrecht vorantrieben. 1891 nahm die SPD schließlich die Forderung nach Frauenstimmrecht in ihr Parteiprogramm auf. Wenige Jahre später, 1895, hielt die Sozialdemokratin Lily Braun als erste Frau in Deutschland eine öffentliche Rede für das Frauenwahlrecht, dessen Einführung August Bebel im Reichstag beantragte.Auf den radikalen Minderheitsflügel der bürgerlichen Frauenbewegung um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann geht schließlich die Gründung der ersten deutschen Frauenstimmrechtsorganisation zurück. Sie riefen 1902 den »Deutschen Verband für Frauenstimmrecht« ins Leben. 1904 schließlich wurde in Berlin der »Weltbund für Frauenstimmrecht« gegründet unter Teilnahme von Delegationen aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Norwegen, Ungarn, Neuseeland, der Schweiz und Deutschland. Von nun an suchten die Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht die Bewegung auf jährlichen Tagungen international zu koordinieren. Als erstes Land der Welt führte Finnland 1906 das Frauenwahlrecht ein, gleichzeitig mit dem Wahlrecht für Männer. In Deutschland blieb die Frauenstimmrechtsbewegung jedoch schwach und über die Art des Wahlrechts gespalten. Die erste Republik auf deutschem Boden bescherte den Frauen 1918 schließlich endgültig das allgemeine, gleiche Wahlrecht, ein Recht für das viele bürgerliche Frauenrechtlerinnen nur sehr zögerlich eingetreten warenPriv.-Doz. Dr. Sylvia Schraut
Universal-Lexikon. 2012.